Rüstzeiten – das unterschätzte Wertschöpfungspotenzial

Ich möchte Sie zu einem kleinen Gedankenspiel einladen.

Nehmen wir einmal an, ein fiktives Unternehmen produziert und verkauft diverse Artikel. Ferner ist der Markt, in dem sich unser Unternehmen bewegt, sehr wettbewerbs- und preisintensiv, und dessen Kunden legen neben der inzwischen als Standard verstanden Produktqualität großen Wert auf die logistische Exzellenz ihres Lieferanten. Konkret heißt das, sie erwarten einen hohen Lieferservice – just in time und haben zudem ihre Lagerhaltung mehr oder weniger auf unser fiktives Unternehmen ausgelagert.

Kommt Ihnen das bekannt vor?

Ferner verfügt unser fiktives Unternehmen über fünf gleiche Fertigungsmaschinen, auf denen täglich unterschiedliche Artikel in Serie gefertigt werden. Die Maschinen sind im Drei-Schicht-Betrieb über 5 Tage ausgelastet. Aus der laufenden Auftragslage hat sich ein Produktionszyklus ergeben, der einen Rüstvorgang pro Schicht vorsieht. Aus Effizienzgründen wurden die Rüstvorgänge bereits auf die Zeiten zwischen den Schichten verlegt.

Die Auftragslage prosperiert und weitere Aufträge können nicht angenommen werden, da unsere anspruchsvollen Kunden keine Wartezeiten akzeptieren wollen. Ein Problem übrigens, dem man sich lieber annimmt, als über Überkapazitäten- und Fixkostenreduktion nachdenken zu müssen. Trotzdem muss sich unser fiktiver Unternehmer darüber Gedanken machen, wie man dieses Problem lösen kann. Es geht nämlich vordergründig nicht nur darum, neuen Kunden nicht absagen zu müssen, sondern vielmehr darum, für Bestandskunden auch künftig ein zuverlässiger Partner zu sein.

Unser fiktiver Unternehmer wird sich also sehr wahrscheinlich mit Kapazitätserweiterungsgedanken tragen wie Mehrarbeit, Wochenendarbeit oder Erweiterungsinvestitionen. Mehrarbeit und insbesondere Wochenendarbeit ist aber teuer, komplex einzuführen und strapaziert auf Dauer die Geduld der Belegschaft und das Verhältnis zum Betriebsrat. Erweiterungsinvestitionen sind mit sprungfixen Kosten, hohem Kapitalbedarf und hoher Kapitalbindung verbunden.

In dieser Situation lohnt sich auch ein kritischer Blick auf die Effizienz der eigenen Prozesse. Zum Beispiel die Rüstzeiten innerhalb der Produktionsprozesse.  In unserem Musterbeispiel würde die Verringerung der Rüstvorgänge um jeweils 5 Minuten – unabhängig davon wie lange die absolute Rüstzeit tatsächlich dauern mag, zu einer Zeitersparnis von 275 Stunden oder rund 37 Tagen führen, in denen zusätzliche Kundenaufträge produziert werden könnten.

Natürlich ist das nur ein plakatives Beispiel, und mit Sicherheit wird Ihre individuelle Praxis anders aussehen. Aber plakative Beispiele helfen, die eigene Situation einmal kritisch zu hinterfragen und zu überdenken, was 5 Minuten Effizienzsteigerung im eigenen Unternehmen bewirken könnten. Was man nicht überprüft hat, kann man auch nicht wissen – und vielleicht sind es in Ihrem Fall ja sogar mehr als 5 Minuten?

Die Optimierung der Rüstzeiten dient aber nicht nur dazu, in Zeiten einer guten Auftragslage zusätzliche Kapazitäten freizusetzen. Auch in Zeiten, in denen Sie über ausreichende Produktionskapazitäten verfügen, kann sich der Blick auf die Rüstzeiten lohnen. In unserem Beispiel bedeuten 275 eingesparte Rüststunden oder eingesparte 37 Rüsttage auch eingesparte Personalstunden. Je nachdem wie viele Mitarbeiter an einem Rüstvorgang beteiligt sind, können sich diese Stunden sehr schnell aufsummieren. Personalstunden, die entweder anderweitig, produktiv eingesetzt oder aber eingespart werden könnten. In jedem Fall erhöht es die Wertschöpfung Ihres Unternehmens.

Die Zielsetzungen der Rüstzeitoptimierung geht über reine Zeit-, Mengen- und Kapazitätsziele weit hinaus und reicht von Kostenzielen über Cash- bis zu Kunden-Zielen. Nachfolgende Tabelle zeigt einige dieser Ziele auf, wobei diese nicht abschließend ist.

Eine Optimierung der Rüstprozesse kann also in vielfacher Hinsicht lohnend sein. Wie groß Ihr Wertschöpfungs-Verbesserungs-Potenzial in Ihrem Unternehmen ist, kann nur durch eine dezidierte Analyse bestimmt werden.

„Man muss ein Potenzial, das sich in einem Prozess verbirgt, erst einmal erkennen, bevor man es heben kann. Entscheidend ist, dass man beginnt, danach zu suchen.“

Der Autor, Uwe Kolb, ist geschäftsführender Gesellschafter der UBB GmbH.